Perspektiven klinischer Stammzellentherapie bei muskuloskeletalen Erkrankungen in Deutschland

Expertenworkshop der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie

Die Durchführung klinischer Studien unter Verwendung mesenchymaler Stammzellen wird in Orthopädie und Unfallchirurgie derzeit durch sehr anspruchsvolle gesetzliche Rahmenbedingungen erschwert. Unter Leitung von Prof. Dr. med. K.P. Günther und Prof. Dr. med. H. Zwipp hat die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) deshalb am 28.4.2009 in München einen Expertenworkshop organisiert, um die Erfahrungen unterschiedlicher Forschungsgruppen zu sammeln und gemeinsame Strategien für eine Optimierung der Translationsforschung in diesem wichtigen Bereich zu entwickeln.

Der Einsatz von mesenchymalen Stammzellen (MSC) hat bei in-vitro-Versuchen und auch tierexperimentell ein hohes Potential zur Heilung von Gewebedefekten gezeigt. Die bisherigen Daten zeigen, dass möglicherweise im Bereich von Orthopädie und Unfallchirurgie gerade bei der Behandlung von Knochendefekten eine Applikation interessant ist. Leider besteht noch eine große Diskrepanz zwischen der Vielzahl an Daten aus tierexperimentellen Studien und tatsächlich klinischen Studien. Dies liegt unter anderem an den anspruchsvollen gesetzlichen Rahmenbedingungen für solche Studien.
Seit der 14. Novelle des Arzneimittelgesetzes (vom 29. Aug. 2005) müssen klinische Prüfungen, die die Wirksamkeit und/oder Sicherheit von Stammzellpräparaten untersuchen, nicht nur bei der zuständigen Bundesbehörde (dies ist für zellbasierte Arzneimittel das Paul-Ehrlich-Institut) angezeigt, sondern von dieser genehmigt werden. Zur Genehmigung einer klinischen Studie muss der Antragsteller u. a. die nach Stand der wissenschaftlichen Kenntnis größst mögliche Patientensicherheit gewährleisten. Diese wird u. a. nachgewiesen durch:

  • „eine Herstellungserlaubnis“, die eine Qualität des Arzneimittels nach GMP (good medical practice)-Standard voraussetzt. Diese Herstellungserlaubnis muss von dem zuständigem Regierungspräsidium erteilt werden.
  • eine dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechende pharmakologisch-toxikologische Prüfung. Die angelegten Maßstäbe – insbesondere auf pharmakologisch-toxikologischer Ebene – erfordern eine sowohl methodisch als auch finanziell aufwändige präklinische Analyse, inkl. Untersuchungen zur chromosomalen Stabilität und Sicherheit der eingesetzten Zellpopulation.

Die Erfüllung dieser Anforderungen ist für den Antragsteller ein aufwändiges Verfahren, bei dem viele Punkte zu beachten sind und dementsprechend eine gute Vorbereitung nötig ist. Selbst universitäre Forschungseinrichtungen stoßen dabei an ihre Grenzen.

Um die Erfahrungen unterschiedlicher nationaler Forschungsgruppen zu sammeln und um gemeinsame Strategien zu entwickeln, hat die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) in Abstimmung mit dem Center for Regenerative Therapies Dresden, dem Berlin-Brandenburg Center for Regenerative Therapies und dem Muskuloskelettalen Centrum Würzburg einen entsprechenden Expertenworkshop durchgeführt. Im Rahmen dieses Treffens erfolgte eine Standortbestimmung der bisher international durchgeführten klinischen Studien mit Stammzellen. Ferner wurde auf die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen, u. a. unter Teilnahme von Herrn Dr. Reinhard vom Paul-Ehrlich-Institut und Dr. Pannenbecker von der Kanzlei Kleinert & Partner, eingegangen. Dabei konnte auf formelle Voraussetzungen bei der Einreichung eines Antrages beim Paul-Ehrlich-Institut hingewiesen und wichtige Punkte für eine erfolgreiche Beantragung herausgearbeitet werden. Diese sollen im Folgenden kurz zusammengefasst werden.

Bei der Verwendung von MSC kommen je nach Applikation (d.h. mit oder Expansion von Zellen oder ohne Expansion) und je nachdem, ob eine klinische Studie durchgeführt wird oder nicht, unterschiedliche rechtliche Rahmen zur Anwendung:

  • Sofern körpereigene Stammzellen von Patienten im Rahmen von klinischen Studien entnommen, expandiert und rückübertragen werden sollen, ist neben einem Ethik-Antrag bei der Universität vor Ort und der Patienteneinwilligung auch eine Herstellungserlaubnis für das Prüfpräparat, eine Anzeige bei der Landesregierungsbehörde und eine Genehmigung durch das Paul-Ehrlich-Institut notwendig.
  • Sofern expandierte Stammzellen nicht im Rahmen von klinischen Studien bei einzelnen Patienten eingesetzt werden, sondern ein solches Prüfpräparat vom Arzt unter seiner unmittelbaren fachlichen Verantwortung hergestellt und appliziert wird, ist derzeit eine Ausnahme des Arzneimittelgesetzes (AMG) anzuwenden (AMG § 4a, Satz 1 Nr. 3) und die Patienteneinwilligung ausreichend. Mit der schon verabschiedeten 15. Novelle des AMG soll diese Ausnahmeregelung entfallen und ein solcher Vorgang auch weitgehend dem AMG und der Genehmigung durch das Paul-Ehrlich Institut unterstellt bleiben.
  • Wenn mesenchymale Stammzellen ohne Expansionsschritt direkt in der gleichen Narkose entnommen und appliziert werden, kommt derzeit ebenfalls eine Ausnahmegenehmigung des AMG zur Anwendung (§ 4a, Satz 1 Nr. 4). Bei klinschen Studien muss ein Antrag bei der Ethik-Kommission vor Ort gestellt werden, ansonsten ist die Patienteneinwilligung ausreichend. In der 15. Novelle des AMGs ist eine wesentliche Veränderung dieser Ausnahme vorgesehen: Nach dieser Novelle ist die Anwendung nur auf unbehandelte Gewebe begrenzt. Was als unbehandelt zu betrachten ist (z. B. ob eine Zentrifugation darunter fällt), ist im derzeitigen Gesetzesentwurf nicht spezifiziert, sodass dies aktuell eine Entscheidung der Landesbehörde wäre.
  • Sofern es sich bei dem Patienten um einen schwer erkrankten Patienten ohne Alternativbehandlung handelt, kann eine Stammzellpräparation auch im Rahmen eines Heilversuches verwandt werden. Hierbei ist die Patienteneinwilligung ausreichend.

Es war Konsens dieses Expertenworkshops, dass die Anstrengungen zu dringend notwendigen klinischen Studien zum Nachweis der Wirksamkeit von Stammzellen deutschlandweit gebündelt werden müssen. Für Einzelpersonen/Einzelinstitutionen ist der organisatorische Aufwand kaum zu bewältigen. Deshalb sollten sich Zentren, die regenerative Therapien durchführen wollen, zusammenschließen und Protokolle sowie Studieninitiativen abgleichen bzw. koordinieren. Nur so kann unter den derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen noch auf universitärer Ebene eine Untersuchung und Bewertung der klinischen Stammzellentherapie effizient erfolgen. Ferner werden die Genehmigungsbehörden darum gebeten, das dankenswert vorgehaltene Angebot zur Durchführung von Beratungsgesprächen noch intensiver als bisher zu kommunizieren.

 

Teilnehmer:
P. Bernstein (Universitätsklinik für Orthopädie, Dresden)
A. Biewener (Universitätsklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Dresden)
M. Bornhäuser (Center for Regenerative Therapies, Dresden)
G.N. Duda (Julius Wolff Institute & Center for Musculoskeletal Surgery, Charite Berlin)
M. Egermann (Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg)
C. Gaissmaier (TETEC Tissue Engineering Technologies AG, Reutlingen)
S.  Grässel (Netzwerk „Regenerative Orthopädie“ der DGOOC, Regensburg
K.P. Günther (Universitätsklinik für Orthopädie, Dresden)
M. Jagodzinski (Klinik für Unfallchirurgie, MHH Hannover)
M. Jäger (Orthopädische Universitätsklinik, Düsseldorf)
P. Kasten (Universitätsklinik für Orthopädie, Dresden)
H. Madry (Orthopädische Universitätsklinik, Homburg)
J. Mollenhauer (Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut, Universität Tübingen)
W. Mutschler (Chirurgische Klinik, LMU München)
U. Nöth (Orthopädische Universitätsklinik Würzburg)
A. Pannenbecker (Rechtsanwalt, Stuttgart)
B. Pfüller (Berlin-Brandenburg-Center for Regenerative Therapies)
S. Rammelt (Universitätsklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Dresden)
M. Raschke (Unfallchrirurgie, Universitätsklinik Münster)
J. Reinhardt (Paul-Ehrlich-Institut, Langen)
M. Rudert (Orthopädische Universitätsklinik Würzburg)
M. Schieker (Chirurgische Klinik, LMU München)
H. Zwipp (Universitätsklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Dresden)

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